Das fehlende Branding der SPD: SPD braucht Querdenker
Die Sozialdemokratie kann nur überleben, wenn sie das Unmögliche versucht: Sie muss zur Bewegung werden und einen radikalen Neuanfang wagen.
Die SPD ist rettungslos verloren, denn sie ist keine Marke mehr. So zynisch es ist: Auch Parteien funktionieren letztlich wie Bier oder Waschmittel. Es zählt das Image, wenn man Erfolg beim Kunden haben will. Die SPD hat jedoch ihren Markenkern ruiniert. Über die Ursachen ließe sich endlos streiten, aber Umfragen ergeben, dass die meisten Bürger nicht mehr wissen, wofür die SPD steht.
Da die SPD kein Profil besitzt, ist sie überflüssig, zumindest aus der Sicht der Wähler. Auch die nächsten Vorsitzenden werden keine Rettung sein, da alle denkbaren Kandidaten den gleichen Makel teilen: Sie sind nicht neu oder sie sind unbekannt. Das gilt auch für Olaf Scholz.
Die SPD bräuchte aber einen radikalen Neuanfang, um ihr Image aufzupolieren. Sie müsste glaubhaft verkörpern, dass alle Niederlagen und alle politischen Fehlentscheidungen hinter ihr liegen und dass sich die Zukunft nur mit ihr lohnt.
Diese Operation Neuanfang ist nicht leicht, wenn man in der Regierung sitzt, weswegen viele Sozialdemokraten gern in die Opposition wechseln würden. Doch das ist keine Option. Jede Neuwahl würde nur zutage fördern, was sich schon in den Umfragen zeigt: Die SPD würde fast bis zur Bedeutungslosigkeit schrumpfen.
Die Sehnsucht nach einer anderen SPD
Die SPD muss den Neuanfang inszenieren, während sie an der Regierung ist. Diese durchaus widersprüchliche Operation kann funktionieren, wie Emmanuel Macron in Frankreich vorgeführt hat. Die Umstände waren kompliziert und Macron war eher neoliberal. Trotzdem könnte seine Strategie ein Vorbild für die SPD sein: Macron war zunächst Wirtschaftsminister unter dem sozialistischen Präsidenten Hollande, der aber keinerlei Chance hatte, wiedergewählt zu werden. Also trat Macron rechtzeitig zurück und gründete seine Bewegung „En Marche“.
So widersprüchlich es klingt: Die SPD kann nur von einem Dissidenten gerettet werden. Kevin Kühnert will diese Rolle nicht ausfüllen, aber das Interesse an seiner Person zeigt, wie groß die Sehnsucht nach einer „anderen“ SPD ist.
Millionen von Wählern sind heimatlos. Es handelt sich um ganz normale Bürger, die sich nach dem Selbstverständlichen sehnen: Sie wollen sich sicher fühlen. Es sind Menschen, die nicht verstehen, warum man in einem reichen Land Angst haben muss, in die Altersarmut zu rutschen – oder seine Mietwohnung zu verlieren.
Macron zeigt wie es geht
Dieses Wählerpotenzial kann die Linkspartei nicht ausschöpfen, schon weil sie sich in Flügelkämpfen zerreißt. Die Grünen wiederum haben diese Wählerinnen und Wähler längst entdeckt, wirken aber nicht unbedingt glaubwürdig, was beim Habitus beginnt: Die Grünen spiegeln das Milieu ihrer Anhänger wider, die fast alle akademische Berufe ausüben.
Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, dass eine charismatische Persönlichkeit eine Bewegung gründet, die die heimatlosen Wähler links der Mitte adressiert. Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wollte genau diese Anführerin sein, als sie ihre Initiative „Aufstehen“ ins Leben rief. Wagenknecht musste jedoch scheitern, weil sie polarisiert und nicht integriert. Zudem war es absurd, dass sie aus dem Parlament heraus eine außerparlamentarische Opposition aufbauen wollte. Macron zeigt, wie man es richtig macht: Man muss Außenseiter sein oder werden, wenn man eine Bewegung gründen möchte.
Kurz: Die sozialdemokratische Partei kann ihre verlorenen Wähler nur zurückholen, indem sie sich als Bewegung inszeniert. Sie müsste die Neuwahl für den Parteivorsitz nutzen, um ein Duo zu küren, das die „andere“ SPD symbolisiert. Sie müsste es aushalten, dass sich die Partei von der eigenen Regierungsmannschaft emanzipiert, damit die nächste Bundestagswahl nicht in einem Desaster endet. Doch die Machtkartelle in der SPD setzen auf Kandidaten, die das „Weiter so“ symbolisieren.
Die SPD ist gerade dabei, ihre letzte Chance zu verschenken. Schade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja